Heilig Abend

Thriller von Daniel Kehlmann

Für zwei Schauspieler und eine Uhr

Foto: Michael Stadler

INFO 

Dauer: ca. 60 Min. (ohne Pause) 
Altersempfehlung: ab 12 Jahren 

Mitwirkende

Judith Riehl
Christian Buse
Schauspiel

Eos Schopohl
Inszenierung

Daniel Kehlmann
Autor

Heilig Abend – das Symbol für den Frieden. Doch dieses Mal wird es kein besinnliches Fest, die Nerven liegen blank. Eine Frau, ein Mann, ein Verhör, und die Uhr tickt. Um Mitternacht wird die Bombe explodieren, es muss gehandelt werden. Aber gibt es sie überhaupt, diese Bombe? Und was ist höher zu bewerten – Freiheit oder Sicherheit? Ein faszinierendes Katz-und-Maus-Spiel. Entlarvend, intensiv und unterhaltsam.

GALERIE 

REZENSIONEN 

Fränkische Nachrichten

Packender Polit-Thriller zum Saisonauftakt

Die Uhr steht still im Foyer des Sommerhäuser Torturmtheaters. Sie zeigt fünf Minuten vor elf an; ein Mann mittleren Alters, grünes Hemd und altmodisches dunkelbraunes Sakko, und eine gleichaltrige Frau, rotes Kleid unter einem langen schwarzen Alltagsmantel, betreten die Bühne. Das beginnende Gespräch zwischen beiden entpuppt sich schnell als verhör. Die Uhr beginnt zu ticken, die Zeit läuft, um Mitternacht wird es zum Showdown kommen – es ist "Heilig Abend". Sofort sind die Zuschauer mittendrin im gleichnamigen Bühnendialog von Daniel Kehlmann. Mit seinen Romanen, vor allem mit "Die Vermessung der Welt" (2005) und "Tyll" (2017) wurde er zum anerkannten Bestsellerautor. Doch auch in seinen bisher vier Theaterstücken zeigt sich Kehlmann als brillanter Dialogschreiber. Perfekt beherrscht er in "Heilig Abend" die Kunst der dramatischen Zuspitzung: vom ersten Satz an spürt man die knisternde Spannung, die sich in der Echtzeit von 65 Spielminuten und der ganz langsam sich verschärfenden Verhörsituation ins schier Unerträgliche steigert. Befeuert wird der Nervenkitzel durch die erbarmungslos herunterlaufende Zeit – die Uhr übernimmt die dritte Rolle in diesem fesselnden Duell zwischen zwei Personen und zwei Sichtweisen auf die Welt. Auf der einen Seite steht der erfahrene Ermittler und Verhör-Spezialist Thomas, der ein mögliches Bombenattentat verhindern will. Ihm gegenüber verteidigt die des Terrorismus verdächtige Philosophieprofessorin Judith die Notwendigkeit von Kritik an den gesellschaftlichen Zuständen der Gegenwart. Hinter dem vordergründigen Dilemma zwischen Sicherheit und Freiheit, zwischen Terrorgefahr und Überwachungsstaat, stellt das Stück auch ganz direkt die Frage nach Verteilungsgerechtigkeit. Während sich Thomas "kein besseres System vorstellen kann", entgegnet Judith, dass das gar nichts beweist. Die Befragung steigert sich zum Streit der Ideen, zum faszinierenden Katz-und-Maus-Spiel, in dem mal der eine, mal die andere die Oberhand gewinnt. Dabei werden die Zuschauer ratlos hin- und hergerissen, ohne eine eindeutige Antwort zu erhalten. In ihrer Inszenierung hält die Münchner Regisseurin Eos Schopohl, TTT-Besuchern seit 20 Jahren bestens vertraut, gekonnt die Balance zwischen den Positionen. Judith Riehl und Christian Buse erweitern die von Kehlmann als bloße Ideenträger angelegten Rollen mit reichlich Lebenserfahrung und enormer Präsenz zu lebensnahen Figuren. Sie verweigern, wie auch der Text selbst, jegliche Schwarz-Weiß-Malerei. Und schenken allen Theater-hungrigen Besuchern ein gleichermaßen dichtes wie packendes Kammerspiel, das ganz nebenbei die Qualität der meisten TV-Polit-Thriller übertrifft. Spannender kann der Start in die neue Theatersaison in Sommerhausen nicht sein.

Manfred Kunz, 8. Juni 2021

Main Echo

Die Gewalt der Worte, das Leid der Blicke
Drama: "Heilig Abend" von Daniel Kehlmann in einem großartigen Spiel am Torturmtheater Sommerhausen

... Begreifbar machen, was das wahre Leben oft genug im Verborgenen lässt: Das ist die Kunst des Theaters – und die Schauspieler Judith Riehl und Christian Buse offenbaren derzeit am Torturmtheater Sommerhausen mit perfidem Spiel, wie schmal der Grat zwischen Recht und Unrecht sein kann. In Eos Schopohls Inszenierung von Daniel Kehlmanns "Heilig Abend" schwingen sich beide auf zum Richter über die Gedanken des jeweils Anderen und bleiben doch Getriebene ihrer eigenen Verzweiflung: Sie, die Philosophin und Verhörte, taktiert mit Sprache wie im Schachspiel; er, der Ermittler und Verhörende, setzt im wahren Sinn auf Wortgewalt. Einen Terror-Anschlag soll er verhindern und die notwendigen Informationen der Verdächtigen entlocken. Doch die Zeit rast dahin in diesem Machtspiel aus Rede und Gegenrede. Beide fühlen sich dem anderen gegenüber überlegen in diesem Dialos, der doch eigentlich aus zwei Monologen – dem der Anklage und dem der Rechtfertigung – besteht. Letztlich sind sie doch nur Rädchen in einer gefühllos arbeitenden Maschinerie, deren einziger Sinn der Antrieb ihrer selbst ist. Die Uhr, die als dritte Darstellerin hoch über ihr und ihm hängt und doch zwischen ihnen beiden steht, tickt unbarmherzig, allenthalben zischet und schnurrt, schrappt und rülpst es aus unsichtbaren Leitungen und Rohren: ein genialer Kunstgriff Schopohls, der seine Vorlagen in Fritz Langs "Metropolis" und Charlie Chaplins "Moderne Zeiten" findet und aus diesen Werken die Hilflosigkeit des Menschen gegen den Lauf der Zeit in eine neue Rolle spult. Die Seuche Industrialisierung war Langs und Chaplins Thema, bei Kehlmann ist es das Virus des Terrors. Auch Judith Riehl und Christian Buse greifen die Stärke des Stummfilms (...) in ihrem Spiel auf und setzen stark auf Mimik und Gestik. In zwei der sicherlich ausdrucksstärksten Szenen dieser Inszenierung braucht es wahrlich keine weiteren Worte, um die Gefühlslagen der Betroffenen zu erkennen – als Zuschauer versteht man tatsächlich, dass ein Wort wie ein Schlachterbeil wirken kann. Da ist also die auf ihren Intellekt so stolze Philosophie-Professorin, die von diesem so einfach gestrickt wirkenden Ermittler erfahren muss, dass ihr wissenschaftliches Werk nicht kompliziert zu lesen, sondern einschläfernd langweilig ist; dass ihr Ex-Mann ein gemeinsames Kind mit einer seiner Studentinnen hat: Der Schmerz, der in diesen Momenten Riehls Blicke durchzieht, ist körperlich spürbar. Dass er sie nur auf tumbe Weise treffen will: So viel Selbstbewusstsein hat sie denn doch nicht, das zu realisieren. Da ist aber auch dieser bauernschlau daherkommende Polizist, der von der Grande Dame mit nonchalant-brutaler Beiläufigkeit gesagt bekommt, dass er und sie nie und nimmer gemeinsam auf Augenhöhe sein werden. Dass sie hier nur eine billige Retourkutsche gegen seine verbalen Attacken fährt: So viel Selbstwertgefühl vermag er seinem Entsetzen nicht entgegenzusetzen. So umkreisen sich sie und er in ihrem Ringen um individuelle Wahrheiten – und für den Zuschauer wird das zu einem spannenden Wort-Gefecht, das mit jeder dieser 60 Minuten Spiel mehr Fragen aufwirft, ab welchem Zeitpunkt Worte zu Gewalt werden können und mit welchem moralischen Recht Gewalt Worte ersetzen darf. Riehl, Buse und Schopohl tun das in einer Kompromisslosigkeit, die schmerzt – und eben dieses Empfinden ist Beweis für ein grandioses Spiel.

Stefan Reis, 8. Juni 2021

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